Claudia Hafner aus Urdorf und Beat Lustenberger aus Oberengstringen feiern diesen März ihr 25-jähriges Amtsjubiläum als Friedensrichter. Fast 3000 Fälle haben sie in dieser Zeit bearbeitet. Im Interview erzählen sie von den skurrilsten Verhandlungen und ihrer Freude an der Aufgabe.

Claudia Hafner und Beat Lustenberger kennen sich seit 25 Jahren. Im März 1997 kreuzten sich ihre Lebenswege, als beide zu Friedensrichtern gewählt wurden. Sie in Urdorf, er in Oberengstringen.
«Wir haben zusammen mit Eliane Graf aus Schlieren und Edith Schleifer aus Birmensdorf, die damals ebenso zu Friedensrichterinnen ernannt wurden, fleissig Rechtsvorlesungen an der Volkshochschule besucht», erinnert sich Claudia Hafner. Mittlerweile wüssten sie, wie man Gerichtsurteile interpretiere und Verhandlungen führe, sagt die 66-Jährige und lacht.
«Kein Fall ist gleich wie der andere»
Als langjähriger Kantonspolizist war Beat Lustenberger mit dem Strafrecht bereits damals bestens vertraut. «Vom Zivilrecht, um das sich Friedensrichter kümmern, hatte ich jedoch wenig Ahnung», gibt der 69-Jährige zu, der seit 2000 auch in Unterengstringen als Friedensrichter amtet. «Wir konnten uns weiterbilden. Viel Wissen eigneten wir uns aber einfach während der Arbeit an», sagt Lustenberger.
Die Kollegen tauschen sich zudem bis heute regelmässig aus. Und auch wenn sie nach 25 Jahren die Verhandlungen routiniert angehen, sagen beide doch: «Kein Fall ist gleich wie der andere.»
Seit 25 Jahren helfen Sie zerstritten Parteien, eine Lösung zu finden. Was macht für Sie den Reiz dieser Aufgabe aus?
Claudia Hafner: Es ist die Vielseitigkeit. Jeder Fall bedeutet eine neue, unbekannte Herausforderung. Zudem finde ich es schön, wenn wir Menschen darin unterstützen können, ihren Konflikt zu beenden. Man merkt in den Verhandlungen, dass diese Streitigkeiten die Leute oftmals stark beschäftigen und emotional runterziehen. Vielen fällt ein Stein vom Herzen, wenn sich die Angelegenheit erledigt hat.
Beat Lustenberger: Eine Schlichtungsverhandlung ist für viele ein Befreiungsakt, da hat Claudia Recht. Ich bin glücklich, wenn beide Parteien das Amtslokal glücklich verlassen. Mir gibt die Arbeit auch nach 25 Jahren noch Befriedigung. Die Fälle sind unterschiedlich und immer spannend. Man weiss nie, was als nächstes auf einen wartet.
Wie kam es dazu, dass Sie sich 1997 für das Friedensrichteramt bewarben?
Claudia Hafner: Ich war damals Präsidentin der SP Urdorf und der nächste politische Schritt wäre eine Kandidatur für den Gemeinderat gewesen. Als ich jedoch sah, dass das Friedensrichteramt frei wird, wusste ich sofort, das ist es, das will ich. Mir liegt mehr das Praktische und weniger die politische, theoretische Arbeit. Zudem hatte ich schon immer eine soziale Ader. So kümmerte ich mich zum Beispiel als Freiwillige um die Notschlafstelle Urdorf. Zu dieser Zeit studierte ich Soziale Arbeit an der Fachhochschule und bildete mich zur Paar- und Familientherapeutin aus. Das passte für mich gut zusammen.
Beat Lustenberger: Ich war als Kantonspolizist in Oberengstringen stationiert und hatte aufgrund meiner Arbeit immer wieder mit dem damaligen Oberengstringer Friedensrichter Paul Brem zu tun. Früher zählte häusliche Gewalt noch nicht als Sozialdelikt, deshalb schickte ich die Leute oft zu ihm und er tat es umgekehrt bei anderen Delikten, für welche die Polizei zuständig war. Ich sagte ihm bei einer solchen Gelegenheit mal, dass mich seine Arbeit auch interessieren würde. Viele Jahre später erhielt ich einen Anruf von ihm und er fragte mich, ob ich noch Interesse daran hätte. Weil ich zu dieser Zeit für den technischen Bereich bei der Kantonspolizei tätig war und mir der Kontakt zu den Menschen fehlte, schien mir das Amt als eine willkommene Abwechslung.
Aus welchen Gründen sitzen Leute an Ihrem Verhandlungstisch?
Claudia Hafner: Meistens handelt es sich um Geldforderungen. Zu 70 Prozent betreffen die Fälle in Urdorf das Arbeitsrecht. Es geht um fristlose Entlassungen, die angefochten werden, um Bonuszahlungen oder Überstunden, die nicht abgerechnet werden oder um Zeugnisse, welche anders formuliert werden sollen. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass man bis zu einem Betrag von 30’000 Franken im Arbeitsrecht keine Gerichtsgebühren zahlen muss. Dadurch nimmt man den Rechtsweg eher in Kauf.
Beat Lustenberger: In Ober- und Unterengstringen gibt es weniger Arbeitgeber als in Urdorf. Daher habe ich weniger mit Fällen zu tun, die das Arbeitsrecht betreffen. Streitpunkte sind hauptsächlich Geldforderungen jeder Art. Das hat sich in all den Jahren nicht geändert. Vor der Einführung der neuen eidgenössischen Zivilprozessordnung im Jahr 2011 bearbeiteten wir auch sehr viele Scheidungen. Seither sind jedoch die Gerichte dafür zuständig.
In den 25 Jahren haben Sie zusammen fast 3000 Schlichtungsverhandlungen geführt. Welche Fälle sind Ihnen bis heute in Erinnerung geblieben?
Claudia Hafner: Es gab einige skurrile und spezielle Fälle. Im Gedächtnis geblieben ist mir zum Beispiel eine beklagte Frau, die mich einen Tag vor der Verhandlung anrief und mir erklärte, dass sie nicht erscheinen könne, weil sie keinen Babysitter für ihre Kinder habe. Ich sagte ihr kurzerhand, dass sie die Kinder doch mitbringen solle, da der Termin wichtig sei. Ich habe jedoch vergessen nachzufragen, wie alt sie sind. Zu meiner grossen Überraschung tauchte die Frau dann mit zwei sechs Monate alten Zwillingen auf. Während der Verhandlung hielt sie das eine Baby im Arm und ich das andere. Als ich das Vergleichsschreiben verfasste, musste dann sogar der Kläger ein Kind auf den Schoss nehmen. Eine andere witzige Geschichte spielte sich bei einer Verhandlung zwischen einem Zahnarzt und einem älteren Mann ab, der sein Gebiss nicht bezahlt hatte. Er brachte dieses zum Gespräch mit und erklärte, dass er es nicht anziehen könne, weil es ihm so weh tue. Schliesslich einigten sich die beiden, dass der Mann das Gebiss zahlt, jedoch so viele Anpassungen beim Zahnarzt zugute hat, bis das Gebiss sitzt.
Beat Lustenberger: An einen meiner ersten Fälle kann ich mich besonders gut zurückerinnern. Es ging um einen Nachbarschaftsstreit. Eine Frau bezichtigte ihren Nachbarn des Diebstahls. Sie war der Auffassung, dass er ihr Putzequipment aus dem Treppenhaus entwendet hatte und erzählte das anderen Nachbarn. Der Mann wehrte sich gegen den Vorwurf. Aus dem nichts kramte die Frau plötzlich eine Bibel aus ihrer Tasche und sagte dem Nachbarn, er solle auf die Bibel schwören, dass er sich nichts zu Schulden kommen lassen habe. Dieser tat wie ihm geheissen und die Frau stellte das Verfahren ein. Ein anderer Fall ist mir geblieben, weil er mich berührt hat. Ein Mann vertrat seinen hochbetagten Vater an der Verhandlung. Dieser soll Sexnummern angerufen und dann die Rechnungen nicht bezahlt haben. Der Sohn entschuldigte sich beim Kläger für das Verhalten des Vaters und erklärte, dass dieser dement sei und nicht mehr wisse, was er tue. Der Kläger zeigte sich verständnisvoll, stellte die Zahlungsforderungen ein und offenbarte, dass auch sein Vater an Demenz leidet. Dieser Fall zeigt, wie viel eine persönliche Aussprache bewirken kann.
Liegt das Problem denn oftmals in der fehlenden Kommunikation?
Claudia Hafner: Ja, meistens wird gar nicht oder zu wenig kommuniziert. Wichtig ist daher, dass jede Partei ihre Sicht der Dinge nochmals schildern kann. Das hilft, dass sich beide Seiten verstanden fühlen und schafft eine ganz andere Basis für die Verhandlung. Manchmal stelle ich auch fest, dass es gar nicht so sehr um die Forderungen geht, sondern vielmehr um das Ego der beteiligten Parteien. Das unbedingte Gefühl, Recht zu haben, egal was es kostet. Das treibt einige an unseren Verhandlungstisch.
Beat Lustenberger: Reden hilft. Gewisse Kläger und Beklagte haben sich zum Teil vor der Verhandlung noch nie gesehen, geschweige denn miteinander gesprochen. Das Treffen gibt ihnen Gelegenheit dazu und es wirkt manchmal Wunder. Einige einigen sich bereits vor dem Verhandlungsstart auf einen Vergleich, weil sie sich auf Anhieb sympathisch sind. Dank der Aussprache können wir in 70 Prozent der Schlichtungsverhandlungen eine Lösung finden, ohne dass es zu einer gerichtlichen Klage kommt.
Sie wurden beide 2021 in Ihrem Amt als Friedensrichter bestätigt und sind bis 2027 gewählt. Wie geht es danach weiter?
Beat Lustenberger: Danach höre ich auf. Ich geniesse jetzt noch die nächsten fünf Jahre und hoffe, dass es so harmonisch und gesittet weitergeht.
Claudia Hafner: Meine Vorgängerin Ruth Ungricht hat das Amt bis ins hohe Alter von 88 Jahren ausgeführt. Das habe ich nicht im Sinn. Ich möchte die laufende Amtsperiode beenden und bin gespannt auf alle Fälle, die noch auf mich warten.
Claudia Hafner

Urdorfer Friedensrichterin
Claudia Hafner lebt seit 38 Jahren in Urdorf. Aufgewachsen ist sie in der Stadt Zürich. Die gelernte Kauffrau absolvierte ein Studium in Sozialer Arbeit und liess sich zur Paar- und Familientherapeutin ausbilden. Die 66-Jährige arbeitete jahrelang im Bereich Kinderschutz. Bis zu ihrer Pensionierung wirkte sie als Vizepräsidentin der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) des Bezirks Dietikon. In ihrer Freizeit betreibt Hafner Yoga und Krafttraining und besucht mit ihrem Mann Paartanzkurse. Sie ist dreifache Mutter und zweifache Grossmutter.
Beat Lustenberger

Oberengstringer und Unterengstringer Friedensrichter
Beat Lustenberger ist seit 1985 in Oberengstringen zuhause. Aufgewachsen ist der 69-Jährige im luzernischen Emmenbrücke. Lustenberger ist gelernter Elektroniker und engagierte sich 37 Jahre lang für die Kantonspolizei Zürich, unter anderem als Kantonspolizist in Oberengstringen, als Technikverantwortlicher und als Sicherheitsberater. Er war begeisterter Waffenläufer. Lustenberger ist passionierter Sänger im Männerchor Engstringen, studiert die thailändische Sprache und bereist mit seiner Partnerin am liebsten Südostasien.
LIZ/Sibylle Egloff